Fausto Giudice – Joe Hill, in memoriam

 

Im Morgengrauen des 19. November 1915 wurde Joe Hill im Innenhof des Gefängnisses von Salt Lake City erschossen. Er wurde vor die Wahl gestellt, gehängt oder erschossen zu werden. Er entschied sich für Letzteres: „Ich bin schon ein paar Mal angeschossen worden. Ich glaube, ich komme damit durch“. Er gab den Befehl, selbst zu schießen. Er hinterließ das folgende Testament:

Die Entscheidung über mein Testament ist einfach,
Denn es gibt nichts zu teilen,
Meine Familie braucht sich weder zu beschweren noch zu jammern,
„Ein rollender Stein setzt kein Moos an“
Mein Leichnam? Hätte ich die Wahl,
würde ich ihn einäschern lassen
damit die fröhlichen Brisen meinen Staub verwehen könnten,
in dem einige Blumen wachsen werden.
So könnte vielleicht eine verwelkte Blume zu neuem Leben erwecken
Und erneut erblühen.
Dies ist mein allerletzter Wunsch:
Euch allen viel Glück, Joe Hill.

 

Hier finden Sie das Interview mit dem Autor, Fausto Giudice:

Wie hast du Joe Hill entdeckt?

Ich war ein junger Einwanderer im Schweden der späten 1960er Jahre. Es waren die „goldenen Jahre“ der herrschenden Sozialdemokratie, die jede abweichende Meinung als „Devianz“ deklarierte, die psychiatrisch behandelt werden müsse. Ich identifizierte mich mit den „Verdammten dieser Erde“ und empfand die herrschende lutherische Moral als unvergleichlich heuchlerisch. Diejenigen, die angeblich das Wohl des Volkes wollten, hatten die Geschichte umgeschrieben und die „andere Arbeiterbewegung“ ausgelöscht, die das Kapital mit alles anderen als friedlichen Mitteln bekämpft hatte. Und Joe Hill war eine legendäre Figur dieser „anderen Arbeiterbewegung“. 1970 fand ich mich mit ein paar hundert Außenseitern als Statist in Bo Widerbergs Film über Joe Hill in den südlichen Stadtteilen Stockholms wieder. Von ihm kannte ich bis dahin nur das Lied, das Joan Baez in Woodstock gesungen hatte. Joe Hill erzählte mir, dass die schwedische Arbeiterklasse nicht immer dieses friedliche Rüsseltier aus der sozialdemokratischen Darstellung gewesen war. Und ich entdeckte Anton Nilsson, den „Amalthea-Mann“. Der 21-jährige Arbeiter hatte 1908 mit zwei Kameraden eine Bombe in der Nähe eines in Malmö vertäuten Schiffes namens Amalthea gelegt, auf dem britische Streikbrecher untergebracht waren, die von den Bossen gegen einen Streik der Hafenarbeiter importiert worden waren. Anton Nilsson wurde zum Tode verurteilt und nach einer internationalen Kampagne, die vor allem von den International Workers of the World, der Gewerkschaft, in der Joe Hill in den USA aktiv war, angeführt wurde, in lebenslange Haft umgewandelt.

Was sagt uns Joe Hill heute?

Er sagt uns im Wesentlichen zwei Dinge: 1. Man kann die am meisten Ausgebeuteten und Unterdrückten auf intelligente und effektive Weise organisieren, indem man die Organisationsformen an die soziale Realität derer „von unten“, der Migranten, Frauen, Prekarisierten und Unqualifizierten anpasst, was die IWW getan haben, und indem man jede Form von Bürokratie sozialdemokratischer Prägung vermeidet. Die „andere Arbeiterbewegung“ ist genau das, im Gegensatz zu Apparaten wie DGB, AFL-CIO oder LO: eine Bewegung, die an der Realität der Klasse klebt, die mobil, flüssig und veränderlich ist. 2. Man kann populäre, kreative, schlagkräftige und humorvolle Formen der Kommunikation erfinden. Die Lieder von Joe Hill sind ein wunderbares Beispiel dafür.

Gibt es Joe Hills heute?

Nicht, dass ich wüsste. Einige RapperInnen könnten es sein, wenn sie sich dafür entscheiden würden, mit und für die ArbeiterInnnen zu singen, die sich bei Amazon, McDonalds, Starbucks, Deliveroo, Uber und all den anderen Unternehmen des „neuen Kapitalismus“, der nur in seinen Formen neu ist, organisieren.

Was hätten Joe Hill und die IWW heute gemacht?

Sie hätten die „anderen“ Arbeiter organisiert, indem sie auf zwei Beinen liefen: physischer und virtueller Kontakt. Das passiert zum Beispiel in China, wo die jungen ArbeiterInnen in den Weltfabriken, die keine Gewerkschaft haben, die sie verteidigt, die sozialen Medien nutzen, um Forderungen zu stellen und sich zu organisieren.

Wozu die Sammlung „Erga Omnes“?

„Erga Omnes“, „Für alle“, war der Slogan der aufständischen Sklaven unter der Führung von Spartacus, die zwischen 73 und 71 v. Chr. die römische Republik in Gefahr brachten. Diese Reihe möchte Bücher über die großen, manchmal vergessenen Figuren der logischen Revolten im Laufe der Jahrhunderte veröffentlichen.

 

Hier finden Sie das Video zum Lied:

 

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