Mavi Pendibene, Meine Häuser, meine Seele

 

Ich wurde in Genua in der Allee Corso Buenos Aires geboren.

Dieses Incipit habe ich in einem Buch einer amerikanischen Schriftstellerin gelesen, die zwar nicht in der Allee Corso Buenos Aires geboren wurde, aber die Prägnanz des Satzes und die unwiderlegbare Aussage „Ich wurde geboren“ gefielen mir auf Anhieb, wobei das Wo eigentlich gar keine Rolle spielte. Unter dem Haus fuhren die Straßenbahnen vorbei. Ich erinnere mich noch an das knurrende Geräusch der Schienen und an die Kurve, die von der Allee Corso Torino in meine Straße führte und den grünen Wagen in eine störende wellförmige Bewegung versetzte: Ich erwartete mir, er würde jeden Augenblick umkippen und auf den Asphalt fallen und die Eisenbänke überwältigen, die auf der Platanenallee standen.

Zu meinem Bedauern trat dies nie ein. Aber ich hätte mir erwartet, dass ein solches Ereignis die Menge versammelt hätte und wir, privilegierte Zuschauer, das plötzliche und unerwartete Drama von oben aus unseren Fenstern beobachtet hätten. Dafür explodierte aber ein schlafender Sprengkörper aus den Zeiten des zweiten Weltkrieges gerade im Gully des Platzes. Es war keine große Tragödie, wir haben eine Weile darüber gesprochen, aber vom Fenster aus konnten wir nichts sehen. Wir wohnten in einer Wohnung mit einem großen Wohnzimmer, obwohl zu Weihnachten oder Ostern bis auf wenige ältere Verwandten nie niemand zu Besuch kam.

Großvater Paolo mochte keine Besucher, geschweige denn das Klingeln an der Tür: Ich glaube, das war eine große Einschränkung für meine Mutter, die ausgelassen und gesellig war und ihre Freunde gerne eingeladen hätte, auch nur um ihnen unsere Wohnung zu zeigen. Das große Zimmer mit dem schönen Duft der alten Möbel und den Samtvorhängen blieb leer: Nur anlässlich der Kommunion meines Bruders war der große Tisch komplett mit Tellern und Gläsern des englischen Gedecks überladen. Schließlich füllten die Gäste zur großen Zufriedenheit meiner Mutter die Wohnung mit ihren Stimmen und Gelächtern.

Vielleicht ist die Stille das wiederkehrende Thema meiner Kindheit: Jedes Geräusch und jede Stimme wurden direkt mit einem entschiedenen „Ssst!“ zum Schweigen gebracht. Denn der Großvater wollte entweder lesen, schreiben oder sich einfach nur ausruhen.

„Sei leise, sonst störst du Großvater“, hieß es immer. Und es war einfach seltsam, in diese Leere einzutauchen, in der jedes Geräusch seine Konsistenz verlor und eine Art Schutzbarriere zur Außenwelt bildete. Und genau diese Barriere fühle und fühlte ich immer wieder im Laufe der Zeit.

Über dem Schreibtisch hing das Gemälde von Madame Le Brun, das Selbstporträt einer attraktiven jungen Dame mit einer weißen Schleierhaube und einem rätselhaften Lächeln, die sich mit der Farbpalette in der Hand nach dem Thema ihres nächsten Kunstwerkes umzusehen schien….

 

Und schlussendlich….

Ich habe wieder einmal von Häusern gesprochen. Und ich tat es denen zum Trotz, die mir zurecht vorwerfen, ich würde immer über dasselbe Thema schreiben.

Ich habe mehrmals zugegeben, eine „Hausträumerin“ zu sein und dem befremdlichen Reiz alter Mauern und abblätternder Fenster zu verfallen.

Das Haus ist unser erstes Universum, die Ecke der Welt, die uns erlaubt, Wurzeln zu schlagen,  zu wachsen und gleichzeitig zu träumen. Das Haus ist unser Leib und unsere Seele. Es unterstützt uns in den Stürmen des Himmels und in den Stürmen des Lebens. Es ist der erste Raum des Menschen: Bevor wir in die Welt „geworfen“ werden, schlafen wir in der Wiege unseres Hauses, und in unserer Vorstellungswelt bleibt das Haus eine große Wiege.

Das Wohlbefinden, das ich in meinem Haus verspüre, ist vollkommen tierisch: Die Maus in ihrem Loch, der Hase in seinem Bau, der Fuchs in seiner Höhle muss so glücklich sein wie ich: Das Gefühl von „Zuflucht“ lässt mich zusammenkauern, mich verstecken, mich ver-bergen. Und das ist eine Reihe tierischer Gesten in dieser meiner Zugehörigkeit zum Menschlichen.

Ich habe auch über die Häuser gesprochen, in denen ich vor langer Zeit wohnte. Und vor allem habe ich über mein Geburtshaus gesprochen, weil dort Erinnerungen wohnen und meine Kindheit unbeweglich im Gedächtnis bleibt.

Es ist das „Nesthaus“, in das man zurückkehrt oder in das man wie die Vögel träumt, zurückzukehren. Es ist das alte Haus, das erste Zuhause, das der Erinnerung, das zum Traum wird, das große Bild einer verlorenen Kindheit.

Ich werde mein Leben lang dahin zurückkehren, um die Stimmen der Vergangenheit zu vernehmen, die in den Räumen widerhallen, und nicht nur ihre Klangfarbe, sondern auch ihr Echo im Haus und dann die Lichttöne und die Intensität der Düfte.

Es sind Häuser der Erinnerung, des Denkens, leichte Häuser, die sich für mich im Laufe der Zeit bewegen und immer offen sind für den Wind jeder anderen Zeit.

Ich werde nie aufhören, von Häusern zu sprechen. Denn ich werde stets ihrer Faszination erliegen. Denn Häuser verzaubern und fesseln mich und sind schlussendlich die ständige Inspiration all meiner Bücher.

 

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